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Die Tonschleuse

von Sibin Vassilev, Teil der Ausstellung "Die Sprache Deutsch" im
Deutsches Historisches Museum Berlin, 14.01.2009 - 03.05.2009

Die „Tonschleuse“ bildet als akustische Verbindung den Eingang zur Ausstellung Die Sprache Deutsch. Hier soll der Besucher für das Phänomen Sprache sensibilisiert und gleichsam in die Exposition geleitet werden. Dafür sind an der tunnelartigen Eingangs-Architektur 16 Lautsprecher angebracht, die entlang der rechten und linken Innenseite des Tunnels in jeweils zwei Viererreihen parallel zueinander montiert sind. Dieses Netz aus Lautsprecher ermöglicht es, Klänge durch den Raum zu leiten. Durch das sukzessive Erklingen der einzelnen Lautsprecher lassen sich Klangböen erzeugen, die sich vom Eingangsbereich der Installation bis hin zum Ausstellungsareal bewegen und die Besuchern in die Ausstellungsräume führen.

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Die Komposition besteht ausschließlich aus phonetischem Material. Dies ist Sprachaufnahmen entnommen, die in den Jahren 2000- 2008 am Lehrstuhl für Geschichte der deutschen Sprache an der Humboldt Universität zu Berlin im Rahmen verschiedener multimedialer Projekte aufgezeichnet wurden. Die phonetischen Collagen, die aus diesem Material komponiert sind und als Klangböen die Tonschleuse durchziehen, thematisieren verschiedene Dimensionen der natürlichen Sprache des Menschen:


• die interne Struktur von Sprache: Zu hören sind sprachliche Elemente verschiedener Komplexitätsstufen (Einzellaute, Silben, Wörter, Phrasen und Sätze)


• die diachrone Dimension von Sprache. Die Collagen enthalten Sprachmaterial aus verschiedenen Sprachstufen des Deutschen (Althochdeutsch, Mittelhochdeutsch, Frünheuhochdeutsch und Neuhochdeutsch) sowie


• die synchrone Vielfalt von Sprache: Zu hören sind verschiedene regionalen Varianten des gegenwärtigen Deutsch und Sprachmaterial aus anderen Sprachen der Welt.


Diese drei Dimensionen werden in folgender Weise miteinander verbunden: In einer ersten Klangböe vermischen sich elementare Geräusche, die beim Artikulieren von Lauten produziert werden (z.B. beim Ein- und Ausatmen, beim Öffnen und Schließen des Mundes oder beim Bewegen der Zunge), mit konkreten sprachlichen Lauten, d.h. Vokalen und Konsonanten, wie sie im Deutschen und anderen natürlichen Sprachen genutzt werden. Die darauf folgende Klangböe enthält Wörter und Wortfragmente, die die älteste Sprachperiode des Deutschen (Althochdeutsch, Altsächisch und Latein) repräsentieren. In der dritten Klangböe dominieren komplexere Einheiten wie Wortverbindungen und Phrasen, die aus mittel- und frühneuhochdeutschen Texten entnommen sind. In der vierten Klangböe schließlich sind ganze Sätze zu vernehmen - in verschiedenen deutschen Dialekten oder in anderen Sprachen der Welt. Alle diese phonetischen Fragmente, die in den Collagen Verwendung finden, stammen aus wissenschaftlichen Abhandlungen oder literarischen Werken, die sich entweder mit dem Phänomen Sprache direkt auseinandersetzen oder Assoziationen zu dem Begriff Sprache herstellen. Dadurch erfährt die Klang-Collage eine Semantisierung in Bezug auf die Sprache als Objekt der Neugierde und der wissenschaftlichen Forschung. 

Der klanglichen Gestaltung kommt eine entscheidende Rolle zu. Sie ermöglicht es eine gewisse Dramaturgie aufzubauen und die einzelnen Klangsegmente in ein harmonisches Verhältnis zueinander zu setzen. Beispielsweise verfügen sprachlich komplexere Klangböen auch über ein breiteres Frequenzspektrum. Diverse aus dem Sprachfluss isolierte und aneinander gereihte Vokale bilden musikalisch-melodische Strukturen; Laute und Silben können zu Wörtern verschmelzen. Teilweise bestimmen musikalisch-rhythmischen Strukturen die Komposition, die von der Dauer menschlicher Atemzüge abgeleitet wurden. Die böenartigen Klang-Bewegungen überlagern sich gegenseitig und sind räumlich in diversen Variationen ausgeführt. Die Palette reicht von geradlinigen bis zu rotierenden Klangbewegungen zwischen den Lautsprechern. Crescendos und Decrescendos sowie Ab- und Zunahmen der Geschwindigkeit der Klangböen bestimmen den dynamischen Verlauf der Komposition in der Zeit. Der Besucher erfährt kinästhetisch die Komposition und fungiert zugleich als doppelter Resonanzkörper – zum einen nimmt er die Schallwellen mit seiner eigenen Physis auf, zum anderen wird er animiert, über das Phänomen Sprache zu reflektieren.

Sibin Vassilev 

ADDRESS

Sibin Vassilev
Karl-Liebknecht-Str. 9
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Email: sibin@sibin.de
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